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Was macht ein stellvertretender Solocellist?

Sebastian Diezig an seinem Arbeitsplatz im Luzerner Sinfonieorchester
Sebastian Diezig an seinem Arbeitsplatz im Luzerner Sinfonieorchester

Auch wenn man häufig ein bisschen im Schatten des ersten Solocellisten steht, gefällt mir die Arbeit des stellvertretenden Solocellisten sehr gut. Sie ist eine Mischung aus Tuttist und Solocellist und eine sehr gute Vorbereitung für die höhere Aufgabe des ersten Solocellisten, weil man immer sehr weit vorne im Orchester sitzt und daher immer bei allen musikalischen Entscheidungen dabei ist und dabei viel Erfahrung sammeln kann. Wenn man ein gutes Verhältnis zum ersten Solocellisten hat, kann man als sein Stellvertreter recht viele Dinge beeinflussen. Vor allem aber übernimmt man häufig die Funktionen des ersten Solocellisten, dazu aber später mehr. Die Bezahlung ist zwischen der des ersten Solocellisten und der eines Tuttisten angesiedelt. Von der Arbeitslast her hat man normalerweise deutlich mehr Dienste zu spielen als ein erster Solocellist und je nach Orchester gleichviel oder ein bisschen weniger als die Tuttisten. Wie bei jeder Funktion im Orchester muss man ein guter Teamplayer sein und sich unterordnen können, als Diva ist man fehl am Platz.

Die Hierarchie im Orchester

Obschon der Umgang in einem Sinfonieorchester kollegial ist, gibt es unter den Musikern eine Hierarchie.

Konzertmeister: Der oberste Musiker ist der 1. Konzertmeister. Er ist der Stimmführer der ersten Geigen und steht auch allen anderen Musikern in musikalischen Fragen vor und führt in dieser Funktion in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten in Proben und im Konzert die ersten Geigen und das ganze Orchester. Eine seiner weiteren wichtigen Aufgaben ist das Spielen von Violinsolos in Werken wie bsp. der 1. Sinfonie von Brahms. Wenn er in einem Projekt nicht spielt, so ist seine Stellvertreterin, die 2. Konzertmeisterin die höchste Musikerin und übernimmt seine Aufgaben. Nur Geigerinnen und Geiger können Konzertmeister werden.

Stimmführer/Solo-Streicher/Solo-Bläser/Solo-Schlagzeug etc.: Danach kommen die Stimmführer der einzelnen Register, deren Funktion normalerweise “Solocellist”, “erster Solocellist”, oder “Solo-Bratsche” resp. “Stimmführer der 2. Violine”, “Solo-Trompete”, “Solo-Oboe” etc. heisst. Sie führen ihr jeweiliges Register, also beispielsweise die Celli oder die Bratschen und spielen die Soli, welche in sinfonischen Werken und Opern für ihre Instrumente komponiert sind.

Ihre Stellvertreter: In jedem Register gibt es auch einen Stellvertreter des Stimmführers. Als stellvertretender Solocellist sitze ich normalerweise neben dem ersten Solocellisten. In sehr grossen Sinfonieorchestern gibt es oft zwei erste Solocellisten und zwei Stellvertreter. Dann kommt es vor, dass alle spielen und am ersten Pult zwei Solocellisten sitzen, am zweiten zwei Stellvertreter und ab dem dritten Pult die Tuttisten. In diesem Fall übernimmt einer der beiden Solocellisten die Stimmführung und der andere neben ihm die Aufgaben des Stellvertreters.

Tuttisten: Die Tuttistreicher sitzen hinter den Solostreichern und ihren Stellvertretern und bei den Bläsern neben ihren Solo-Bläsern und Stellvertretern. Dank den Tuttistreichern entsteht der einzigartige chorische Klang eines grossen Orchesters und dank ihnen ist ein viel grösseres Klangvolumen und eine riesige Bandbreite vom Tripel-Pianissimo bis zum Tripelfortissimo möglich. Ohne sie hätten die Streicher klanglich gegen die Lautsärke des Blechs und des Schlagwerks keine Chance.

Welche Aufgaben hat ein Stellvertreter? Eine Job-Description.

Bezeichnen: Als stellvertretender Solocellist bin ich die rechte Hand des ersten Solocellisten. Der erste Solocellist bezeichnet im Vorfeld der Probenarbeit das Notenmaterial der Cellogruppe mit Bogenstrichen. Ist der erste Solocellist überarbeitet, kann oder muss ich als sein Stellvertreter diese Arbeit manchmal übernehmen.

Homogenität fördern: In der Probenarbeit arbeite ich unterstützend. Ich versuche bei allen Einsätzen genau mit dem ersten Solocellisten einzusetzen und seine musikalischen Ideen wie Phrasierungen und Artikulationen in mein Spiel zu integrieren. Insbesondere muss ich dafür sorgen, dass der Klang der Cellogruppe so homogen wie möglich ist, indem ich mich in seinen Klang und den der Tuttisten gut mische. Mein Ziel ist, den Klang der Cellogruppe zu verstärken ohne herauszustechen. Ich darf also nicht zu laut und nicht zu leise sein. Ich beobachte aus meinen Augenwinkeln daher immer die Bogenführung des ersten Solocellisten und benütze so viel Bogen wie er und spiele nach Möglichkeit in der gleichen Bogenhälfte und an der gleichen Kontaktstelle. Auch seine linke Hand beobachte ich um mich falls nötig auch dort an sein Vibrato oder seinen Fingersatz anzugleichen. In richtig lauten Stellen, in denen es nur um die Power geht, darf aber auch ein Stellvertreter richtig reinhauen, was Spass macht. Der erste Solocellist und sein Stellvertreter müssen gut zusammen harmonieren, da Konkurrenz dem Klang und dem Zusammenspiel der Gruppe schaden würden.

Bogenstriche checken: Ich werfe immer ein Auge auf die anderen Streichergruppen um festzustellen, ob die Bogenstriche der anderen Gruppen mit denen meiner Gruppe übereinstimmen und bespreche Unstimmigkeiten mit dem ersten Solocellisten. Oft fragt mich der erste Solocellist, ob dieser oder jener Bogenstrich gut ist oder ob ich eine bessere Lösung hätte. Dann kann ich meine Ideen und Vorschläge einbringen.

Schreiben: Gibt der Dirigent während der Probe Anweisungen zu Dynamiken, Phrasierungen, Artikulationen, Tempoanweisungen usw. notiert der schnellere von uns beiden sie sofort in die Stimme, damit die Kollegen an den hinteren Pulten mitschreiben können.

Schnittstelle zu anderen Gruppen: Auf Grund meiner Sitzposition bin ich je nach Orchesteraufstellung direkt zwischen dem Solocellisten und dem Solobratscher oder der 2. Konzertmeisterin. Oft werde ich daher gebeten, Details zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen abzuklären.

2. Cellostimme führen: Gibt es in einem Werk Stellen, in denen der Komponist zwei verschiedene Cellostimmen komponiert hat, so führe ich die zweite Stimme, lege die Striche fest und gebe falls nötig Anweisungen für besseres Zusammenspiel.

Einspringen, wenn der erste Solocellist krank ist: Sollte der erste Solocellist ausfallen, muss ich für ihn einspringen. Dies ist die heikelste Vepflichtung denn in so einem Fall muss ich sehr kurzfristig die Aufgaben des ersten Solocellisten übernehmen. Obschon ein seltener Fall, kann das durchaus vorkommen wenn der Solocellist z. B. im Stau stecken sollte oder zur Geburt seines Sohnes eilen muss etc. Ein Stellvertreter muss also in der Lage sein, eine Cellogruppe im Konzert zu führen, obschon er in den Proben nur auf dem 2. Platz gesessen hat und Solos in einem Stück spielen können, wenngleich er sie in der Probe nicht geprobt hat. Viele Musiker haben Respekt vor dieser Aufgabe, da der potenzielle Stress sehr gross ist. Bis jetzt ist es mir noch nie passiert und es wird wohl auch nicht sehr oft passieren. Aber eines Tages, damit rechne ich fest, wird ein grosses Solo zu spielen sein und aus irgendeinem Grund fällt der erste Solocellist aus. Deshalb bereite ich die Soli immer vor und spiele viel Kammermusik und Solo-Konzerte, um die nötigen Nerven zu haben.

Ersten Solocellisten entlasten: Da der erste Solocellist in fast jedem Orchester eine Diensterleichterung hat kommt es regelmässig vor, dass er nicht eingeteilt ist und der Stellvertreter planmässig seine Aufgaben übernimmt. In so einem Fall sitze ich auf dem ersten Platz und mache den Job des ersten Solocellisten. In meinem Orchester passiert dies im Konzert jede Saison bei zwei bis drei Projekten, und im Theater bei den Opernproduktionen sehr oft, da dort meist nicht alle Cellisten gleichzeitig spielen, und nur der erste Solocellist oder aber sein Stellvertreter mit ein paar Tuttisten eingeteilt sind. Das ist sehr interessant für mich, da es in den Opern häufig Cello-Solos gibt.

Mitdenken und mitzählen: Der erste Solocellist und sein Stellvertreter zählen beide zusammen und versuchen, die Fehlerquote tief zu halten. Idealerweise kann der eine einen Fehler des anderen ausbügeln. Interessanterweise machen aber häufig beide zusammen den gleichen Zählfehler, was fast schon an Telepathie grenzt.

 

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