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Wie entsteht eine gute Interpretation?

Mir scheinen folgende Punkte wichtig, um das Maximum aus sich selber herauszuholen und ein Stück so überzeugend wie möglich zu spielen.

Möglichst viele Aufnahmen hören

Wir sind heutzutage in der historisch gesehen einzigartigen Situation, dass wir per Knopfdruck im WWW eine riesige Anzahl Aufnahmen gratis oder zu günstigen Preisen hören können. Davon muss man unbedingt profitieren. Man sollte sowohl Studio-Aufnahmen auf CD oder mp3 als auch Live-Aufnahmen und (Live-)Videos auf Youtube hören. Gute und schlechte, von bekannten und unbekannten Künstlern, alte und neue. Die guten Einspielungen inspirieren durch sinnvolle Tempi, schöne Phrasierungen, schönen Klang, exzellente Cellotechnik, sinnvolle Fingersätze, Bogenstriche und vieles mehr. Die schlechten hört man oft nicht zu Ende aber sie helfen dabei, sich sofort darüber klar zu werden, was man als Resultat vermeiden will.

Das Stück live im Konzertsaal hören und erleben

Aufnahmen sind etwas Geniales aber letztendlich stellen sie immer eine “gekünstelte” Version eines Werks dar. Bei Studioaufnahmen sowieso, weil geschnitten wurde bis es perfekt ist. Aber auch bei Live-Aufnahmen, weil die Mikrofone oder das Mikrofon an einem möglichst günstigen Platz aufgestellt wurden. Das kann Balance-Probleme maskieren. Wenn es möglich ist, sollte man sich das Stück deswegen im Konzert anhören und so unter realen Bedingungen erleben, wie es auf einen selber als Zuhörer wirkt. Weil man als Konzertbesucher wenn es langweilig wird nicht einfach mal einen Satz überspringen oder eine interessante Stelle zweimal hören kann, lernt man das Werk im Gesamtzusammenhang von einer anderen Seite kennen, was immer gut ist.

Andere Werke des Komponisten hören

Es ist immer gut, ein Werk nicht als isoliertes Unikum zu betrachten, sondern als Teil des grossen Gesamtwerks eines Genies. Insbesondere finde ich es interessant, Werke für andere Besetzungen zu hören, bsp. für Orchester, Klavier, Streichquartett, Violinsonaten etc. sowie selbstverständlich die “wichtigsten” Werke eines Komponisten (häufig die Sinfonien, Instrumentalkonzerte oder Opern). Auch hier gehen die Interpretationsansätze zum Teil weit auseinander, aber man kriegt trotzdem ein besseres Gespür für das Klanguniversum eines Komponisten. Als Orchestermusiker kriege ich einen guten Teil dieser Ausbildung gratis in meiner täglichen Arbeit und schätze diesen Input sehr. Mir scheint, dass es meinen Musikerhorizont sehr erweitert.

Sich Zeit nehmen

Zwar wird man mit zunehmender Erfahrung schneller. Dennoch ist es gut, wenn man genügend Zeit einplanen kann, um die Interpretation reifen zu lassen. Es zahlt sich immer aus, wenn man sich über einen langen Zeitraum täglich mit einem Stück beschäftigen kann.

Den Text respektieren

Die Anweisungen des Komponisten (pp, mf, f, >, espr., Tempoangaben usw.) sind immer sehr wichtig. Wenn man an einzelnen Stellen vom Text abweicht, dann mit gutem Grund und bewusst. Es ist auch ein Vorteil, wenn man eine gute Ausgabe benützen kann. Meistens kommen die aus den Häusern Henle Urtext oder Bärenreiter Urtext. In den letzten Jahren habe ich auch Urtextausgaben von Peters und Schott gesehen. Der Vorteil im Vergleich zu weniger guten Ausgaben ist, dass die Leute, welche die Stimmen eingerichtet haben (mit Fingersätzen und Bogenstrichen versehen haben), sich an die Vorgaben des Komponisten gehalten haben und nicht wie zu früheren Zeiten nach eigenem Gutdünken die Phrasierungsbögen, Artikulationen und Tempoangaben verändert haben, so dass man am Schluss nicht mehr weiss, was nun der Komponist wollte und was der Editor.

Partitur studieren

Wenn es ein mehrstimmiges Werk ist, ist es immer sinnvoll, sich mit der Partitur (mit Vorteil auch Urtext) vertraut zu machen um zu sehen, wo man agogische Freiheiten hat und wo nicht. Auch viele andere Sachen erschliessen sich mit einem Blick in die Partitur sofort.

Komponistenbiographie lesen

Auf Wikipedia findet man alle wichtigen Komponisten und ihre Lebensgeschichte in Kompaktform. Es ist immer interessant, sich da mal durchzulesen und gewisse interessante Details zu erfahren. Es wird eine Interpretation immer positiv beeinflussen, wenn man mehr über den Komponisten weiss.

Technische Probleme optimal lösen

Man kann noch so gute musikalische Ideen haben – auch technisch muss man super spielen. Klanglich, intonatorisch und rhythmisch muss man immer nach dem höchsten Standard streben.

Sich selber aufnehmen, anderen Leuten vorspielen

Mir selber hilft es enorm, mit einem Mikrofon eine Aufnahme zu machen. Viele Sachen fallen mir erst beim Abhören auf. Oft mache ich mir beim Hören Notizen in die Noten. Es ist auch super, wenn man erfahrenen und guten Musiker-Kollegen vorspielen kann.

Genug proben und gute Mitmusiker haben

Naht das Konzert, so sind genügend Proben sowie gute Kollegen als Partner auf dem Konzertpodium die ideale Voraussetzung für eine gute Interpretation.

 

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