Sebastian Diezig
Pressezitat

 

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15.12.2011

Den neuen Instrumenten gehört die Zukunft

Gerade heute hat mir ein Kollege ein altes italienisches Cello gezeigt. Klar, dass ich es ausprobiert habe. Dass es ein Italiener war, sah ich dem Instrument von weitem an. Doch niemand wisse, wer es gebaut habe. Das Cello sei aber sicher mehrere hunderttausend Franken wert, meinte mein Kollege weiter. So weit nichts Ungewöhnliches, denn sobald ein Cello italienisch und alt ist, wird es richtig teuer.

Eine äusserlich perfekt restaurierte Ruine

Was ich auch sah: das Cello war, wie alle alten Italiener, die mir bis jetzt unter die Finger kamen vor allem eins: kaputt. Das ist drastisch gesagt, aber es stimmt im Kern eben doch. Das Cello hatte gleich mehrere Stimmrisse auf der Decke, was so ziemlich etwas vom Übelsten ist, was einem Cello passieren kann und wies auch am restlichen Korpus sehr viele Risse auf.

Was mir auch sehr missfiel und was auch sehr typisch ist für alte Celli: Auf der Seite des Steges, auf der der Stimmstock nicht steht, waren die Decke und der Boden eingedrückt. Warum der Boden bei alten Celli einseitig einfällt, habe ich noch nicht verstanden, aber bei der Decke ist es klar: Der Druck der modernen Stahl- und Wolframsaiten ist für die Dünne Decke viel zu viel und der spitze zeitgenössiche Halswinkel erhöht den Druck noch weiter. Auf der Seite des Stimmstocks hält der Stimmstock dagegen und deswegen gibt es mit der Zeit einen zünftigen Stimmriss in der Decke und möglicherweise auch im Boden. Aber auf der anderen Seite des Steges fällt die Decke mit der Zeit ein. Es gibt Besitzer, die verzaubert meinen, dass ihr altes Instrument wirklich ein ganz besonderes Kunstwerk sei, weil die Wölbung der Decke und des Bodens asymmetrisch ist. Das ist schon ein bisschen naiv.

Was man freilich nicht von blossem Auge sieht, sind die zahlreichen Reparaturen im Innern des Cellos. Bestimmt kein schöner Anblick.

"They are pushed to do things for which they weren't designed"

Dies sind die Worte von Phillip Cray, dem Erbauer meines Cellos. Ich habe mit ihm nämlich über dieses Thema mehrmals gesprochen und er hat mir viele Sachen aufgezeigt, die auf der Hand liegen, wenn man denn genau hinsehen will. Fakt ist, dass früher mit Darmsaiten gespielt wurde. Auch war früher der Halswinkel grösser. Dies bedeutet, dass der Druck auf die Decke kleiner war. Somit wurden die Celli weniger robust gebaut als die der heutigen Geigenbauer. Da aber die Konzertsäle immer grösser wurden und die Klaviere und Flügel immer länger und lauter sowie das Orchester-Instrumentarium immer mehr Blechbläser und Schlagzeug-Apparate aufwies, entstand das Bedürfnis nach lauteren Streichinstrumenten. Mit Stahlsaiten und spitzerem Halswinkel wurde dies vollbracht. Logischerweise ist das für die altehrwürdigen historischen Instrumente ganz extrem schlecht. Man mutet ihnen viel zu viel zu. Und es wird nicht besser werden, denn - etwas überspitzt gesagt - wenn es so weitergeht mit dem Kammerton wie bislang, dann haben wir 10 Jahren den Stimmton A bei 450 Herz! Also noch mehr Gewicht auf den alten Celli. Logischerweise können nur neue Instrumente für die Anforderungen der heutigen Zeit konstruiert sein.

Ich habe das alte Cello dennoch interessiert ausprobiert und war nicht überzeugt vom Klang. Natürlich ist der Klang etwas persönliches und jeder muss für sich selber entscheiden, was ihm gefällt und was nicht. Aber das sehr gute Instrument, das mein Kollege sonst spielt und mein Cello (Jahrgang 2000) waren in jedem Fall leichter zu spielen und klangen lauter und wärmer, zumal wir eins zu eins vergleichen konnten.

Fairerweise muss ich sagen, dass ich auch schon alte Celli gesehen habe, die tatsächlich beeindruckend klingen. Ich habe beispielsweise mal ein wirklich sehr gutes Stradivari-Cello probiert. (Doch auch an einem Stradivari-Cello gehen die Jahre nicht spurlos vorbei.)

Die Generation 50+ spielt solche Instrumente

Wenn ich so ein historisches Instrument sehe, dann gehen mir sehr viele Sachen durch den Kopf, nicht zuletzt die Vorstellung der Finanzierung des schwindelerregenden Kauf-Preises. Während dem Studium habe ich geglaubt, dass nur ein alter Italiener meiner Karriere den nötigen Schub verleihen kann. Das ist auch kein Wunder, denn viele Professoren und berühmte Cello-Stars spielen auf teuren historischen Instrumenten und im Studentenalter schaut man sehr, was die Profis machen. Was ich freilich nicht wusste war, dass diese Generation von Cellisten ihre Instrumente in einer Zeit erstehen konnte, in der sie noch nicht so astronomisch teuer waren. Jedenfalls habe ich viel gesucht und Kontakte geknüpft und kam schlussendlich dazu, so ein teures altes Gerät für ein Jahr spielen zu dürfen. Es war sehr gut, dass ich zuerst ein Jahr Erfahrungen damit sammeln durfte!

Meine Erfahrung

Natürlich war das Instrument von einem namhaften Exponenten der italienischen Geigenbau-Geschichte ein sehr wertvolles Cello (Versicherungswert 600'000 CHF) und es war selbstverständlich auch besser als mein Studentencello. Das ist aber auch nicht so verrückt schwer. Dennoch, wenn das Cello funktionierte, war es eine Freude, darauf zu spielen. Doch es kam dann mal der Frühling und mit den anderen Temperaturen und Luftfeuchtigkeitsgraden fingen die Probleme an. Ständig ratterte das Cello ganz unschön, wenn ich auf den tiefen Saiten laut spielte. Ich war schockiert, denn so etwas kannte ich damals nicht. Ich war mich gewöhnt, dass ein Cello funktioniert, wenn man es aus dem Koffer nimmt.

Jedenfalls lernte ich bald, dass es auch für versierte Geigenbauer nicht leicht ist, herauszufinden, wo nun eine Leimstelle offen ist und wo genau das unangenehme Geräusch herkommt. Es folgten zahlreiche Besuche bei Geigenbauern und für mich als Student war das kostspielig.

Sogar am Tag meines Solistendiploms verbrachte ich den ganzen Morgen beim Geigenbauer. Lieber hätte ich geübt.

Das alte Cello als Investition

Irgendwann kam dann der Moment, als der Besitzer sein Cello zurück haben wollte. Glauben Sie mir, es fiel mir nicht schwer, das Cello zurück zu geben! Der Besitzer indes war mit den Problemen seines Cellos auf Grund seiner langen Karriere vertraut und fand es normal. Nebst den Erinnerungen an seine schöne Cellistenlaufbahn ist für ihn das Instrument natürlich auch vor allem eine Wertanlage, die alle paar Jahre satte Zuwachsraten hat. Aber wie lange das noch so weitergehen kann, weiss niemand. Denn diese Wertsteigerung beruht auf der grossen und scheinbar steigenden Nachfrage.

Was passiert, wenn die Nachfrage nachlässt?

Es ist augenscheinlich, dass die Musiker in den professionellen Orchestern und auch namhafte Solisten immer häufiger auf Instrumenten unserer Zeit spielen. Ist ja auch klar warum: Bei den Löhnen, die man als Musiker hat, ist es wirklich verwegen, ein Instrument im Wert von mehreren Hunderttausend Franken anzuschaffen, ausser, man will sein ganzes Leben den Kredit und die damit verbundenen Zinsen berappen. Auch ist ein Spitzen-Musiker auf ein funktionierendes, zuverlässiges, gutes und bezahlbares Instrument angewiesen. Somit sind die alten Instrumente gar nicht interessant. Und kann der Wert immer weiter steigen, wenn die Leute, die solche Instrumente benützen könnten, darauf verzichten und somit die Nachfrage nachlässt? Und ist dann nicht der eigentliche Zweck und somit auch der Gebrauchswert eines Instruments verschwunden, was doch auch auf den materiellen Wert schlagen müsste?

OK, alte Italiener werden auch als Kunstwerke gehandelt. Doch sehen wir uns diese Kunstwerke mal näher an! Sehr viele alte Celli wurden von modernen Geigenbauern verkleinert, um sie besser spielbar zu machen. Alle mussten eine Anpassung des Halswinkels über sich ergehen lassen. Bei keinem dürfte noch allzu viel originaler Lack vorhanden sein (so viel zum Thema: der Lack macht den Klang der Stradivari). Zudem gibt es Fälschungen zuhauf. Oft wurde der Boden oder die Decke von einem anderen Instrument angebaut (eine grosse Wertverminderung). Gibt es andere Kunstobjekte, die sich dermassen massive Eingriffe gefallen lassen mussten? Und wenn ja, was sind sie dann noch wert? Vermutlich nicht sehr viel! Wenn sich einmal diese Erkenntnis als Allgemeinwissen durchsetzt, dann könnte es schon sein, dass diese alten Instrumente nicht mehr viel wert sind und keine Abnehmer mehr finden.

Den neuen gehört die Zukunft.

Die Anforderungen, die ich an mein Cello stelle sind sehr hoch. Es muss täglich bis zu 10 Stunden Spielen aushalten, also belastbar sein. Es muss gut klingen, es muss bezahlbar sein, es muss zuverlässig sein. Es muss klimatische Änderungen und Reisen wegstecken können. Es muss schön aussehen und kerngesund sein. Ich meine: nur ein modernes Instrument kann diese Anforderungen erfüllen.

Stellen sie sich einen Handwerker vor, der mit Werkzeugen aus dem 17. Jahrhundert auf dem Bau arbeitet. Unvorstellbar! Oder einen Banker, der mit dem Rechenschieber an der Börse seine Geschäfte tätigen will. Niemand käme in den wildesten Träumen auf die Idee! Natürlich hinkt der Vergleich ein bisschen aber kein Berufstätiger der Welt (und schon gar niemand in einem Spitzenbereich) wird mit Werkzeugen arbeiten, die Antiquitäten sind. Im Gegenteil, sie benützen das bestmögliche und leistungsfähigste, das sie für ihr Geld kriegen können. Für moderne Musiker ist das genau das gleiche, den ihr Musikinstrument ist ihr Werkzeug.

Mein Grossonkel in Amerika ist Ingenieur. In der Phase, in der ich ein altes Cello suchte und mit ihm darüber gesprochen hatte, sagte er zu mir: "Es leuchtet mir nicht ein, warum ein heutiger guter Geigenbauer, der die alten Instrumente studieren kann und mit der heutigen Technik analysieren und nachbauen kann, nicht im Stande sein sollte, ein gleich gutes oder gar besseres Instrument zu schaffen." Das war der unbefangene Blick eines Aussenstehenden. Wie Recht er hatte, erfuhr ich erst einige Jahre später aus eigener Erfahrung.

Mein neues Cello wird immer besser.

Es ist wirklich eine besonders schöne Tatsache, dass mein neues Cello durch das viele Spielen klanglich immer ausgewogener und stärker wird. Warum, kann ich nicht genau erklären, aber es ist kein Witz und unter Geigenbauern und Musikern ein bekanntes Phänomen. Dennoch bin ich jedes Mal wieder von neuem erstaunt und fasziniert, wie mein Cello schon wieder ein bisschen zugelegt hat. Es muss mit der sich stetig verbessernden Vibrationsfähigkeit des Korpus' zu tun haben. Das viele Spielen hilft dabei. Auch das Orchester mit seinen hohen Lautstärken lässt das Cello richtig Vibrieren und ist bestimmt ein Faktor.

 

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