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Drei weitere Tipps für noch sinnvolleres Üben

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Im Artikel ” wie man effizient und effektiv Cello übt“, haben wir bereits 12 Tipps gesehen. Hier kommen drei weitere Ideen für noch mehr Fortschritte.

1. 80/20-Regel:

Eine wohlbekannte Zeitmanagement-Formel besagt, dass 20% der Arbeit 80% der Resultate generiert und die restlichen 80% der Arbeit nur noch 20% des Ergebnisses erzeugt. In meiner eigenen Erfahrung kann man diese Regel eins zu eins aufs Cello übertragen. So sollte man sich immer überlegen, was man zwingend üben muss und was auch ohne Üben geht. Damit will ich nicht sagen, dass man überhaupt nicht mehr zu üben braucht – im Gegenteil. Aber wenn man übt, dann das Richtige. Oft weiss man intuitiv sehr genau, welche Stellen unangenehm sind und daher geübt werden müssen. Andere Stellen spielen sich sehr leicht und die Verlockung ist daher gross, immer daran weiterzuarbeiten. Das bringt jedoch eben nur wenig Resultate. Viel grössere Fortschritte kommen aus der Arbeit an Stellen, die man nicht mal eben so vom Blatt spielen kann.

2. Arbeite an deinen Schwächen:

Oft halten einen die eigenen Defizite am stärksten zurück. Bei mir war dies lange Zeit das Blattlesen. Seit ich täglich 10min unbekanntes Notenmaterial lese, bin ich aber recht sattelfest geworden. Eine andere Schwäche war bei mir meine Kenntnisse in “Griffbrett-Geografie”: Ich musste für jede halbwegs komplizierte Stelle einen Fingersatz finden und einstudieren um dann sicher zu sein. Mit routinemässigem Üben von Terz-, Sext-, Oktav-, und Arpeggiotonleitern in allen Tonarten sowie komplizierten Etüden habe ich meine Orientierung auf dem Griffbrett deutlich verbessern können. Das Ausmerzen dieser beiden Schwächen hat meine Geschwindigkeit im Lernen neuen Notenmaterials beschleunigt und meine Kreativität bei Fingersätzen beflügelt. Beides kommt mir täglich zu Gute. Hat man mal eine Schwäche ausgemerzt, so ist man auf einem neuen Niveau und wird neue Schwächen orten, die es zu bekämpfen gilt.

3. Arbeite an deinen Stärken:

Um mit Roger Federer zu sprechen: “Wenn du an deinen Schwächen arbeitest, wirst du ein kompletter Spieler. Aber du wirst nicht mehr gefährlich sein. Deswegen arbeite ich an meinen Stärken.” Dieses Zitat ist mir erst kürzlich über den Weg gelaufen und ich habe vorher noch nie darüber nachgedacht. Zwar würde ich weiterhin an den Schwächen arbeiten, denn dort kann man die 80/20-Regel am effektivsten umsetzen. Aber die eigenen Stärken sollte man tatsächlich auch kultivieren. Hat man beispielsweise das Talent, einen besonders schönen Ton zu erzeugen, so sollte man jeden Tag nach weiteren Tricks suchen, um den Ton noch schöner zu machen. Ist man begabt für einen grossen, solistischen Ton, so soll man auch da mehr Möglichkeiten suchen. Ist man ein Virtuose, so sollte man immer virtuoser werden. Hat man eine sichere Intonation, so soll das so bleiben oder gar noch besser werden etc.

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Wie viel sollte man täglich Cello üben?

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Eine gute Frage! Ich denke: So viel wie möglich, mit Betonung auf “möglich”. Denn es macht wirklich keinen Sinn, Schmerzen in der Hand oder sonstwo herbeizuführen.

Daher: Nie über die Schmerzgrenze hinaus üben

Schmerzen sind immer ein schlechtes Zeichen. Wenn man mehrere Tage in Folge die Schmerzgrenze ignoriert, dann kann es sein, dass man wegen einer Entzündung oder einer Ziste usw. wochen- oder gar monatelang pausieren muss. Einerseits sollte man also beim Üben auf die Ergonomie achten (guter Stuhl, angenehme Notenständerhöhe, gute Haltung am Cello, keine überflüssigen Bewegungen usw.) aber auch, dass man jeweils nach spätestens 45 Minuten eine Pause einlegt und versucht, beim Spielen möglichst locker zu bleiben. Wenn eine Stelle besonders anstrengend ist, dann versteht es sich von selber, dass man nicht zu lange daran üben sollte. Sobald die Hand oder der Arm oder die Schulter müde werden, ist eine Pause angesagt oder mindestens eine andere Übung, die den Körper anders oder weniger belastet. besonders gefährlich sind Doppelgriffe, Streckungen der linken Hand und Oktaven. Da muss man vorsichtig sein. Und bitte nicht naiv sein: Wenn man täglich zusammengezählt sechs bis acht Stunden Cello spielt, dann kommen Schmerzen in der rechten Hand sicher nicht vom Benützen der Computermaus und Schmerzen in der Schulter kaum vom Tragen des Cellokoffers.

Ein Musiker ist wie ein Athlet: Regelmässigkeit und Qualität des Trainings zählen

Es dürfte allen bekannt sein, dass es nichts bringt, heute 7 Stunden zu üben und dann für den Rest der Woche gar nicht mehr. Hingegen ist es sehr sinnvoll während 7 Tagen, täglich 1 Stunde zu üben. Nach einer Woche ist das in der Summe zwar die gleiche Dauer, aber die Wirkung könnte unterschiedlicher kaum sein. Im Gehirn müssen sich die Synapsen richtig verlöten und das braucht regelmässige Lernimpulse über einen längeren Zeitraum hinweg.

Wie viel soll ich also üben?

Das ist abhängig von deiner Situation. Als Kind habe ich täglich ca. eine halbe Stunde bis eine Stunde geübt. Als ich 16 Jahre alt war und entschieden habe, dass ich Berufsmusiker werden will, übte ich mehr und kam neben der Schule zu dem Zeitpunkt auf ca. anderthalb bis drei Stunden pro Tag. Während meinem Studium in Basel habe ich dann täglich drei bis fünf Stunden geübt. Heutzutage übe ich “so viel wie möglich”. D. h., dass ich jeden Tag versuche, so viel Zeit wie möglich fürs Üben freizuschaufeln. Manchmal sind das 15 Minuten, meistens eine bis zwei Stunden und an freieren Tagen drei bis vier Stunden. Wichtig ist wie oben erwähnt, schmerzfrei zu üben. Wenn ich beispielsweise bereits zwei Orchesterdienste und eine Kammermusikprobe an einem Tag hatte, dann übe ich zwischendurch zusammengezählt vielleicht höchstens 30 Minuten, da ich sonst ein “Übertraining” (Verletzungen) riskiere.

Wichtig ist auch das “richtige” Üben.

Wie in diesem Artikel beschrieben, ist auch die Qualität des Übens wichtig. Der Kopf muss immer eingeschaltet sein und ich stelle mir immer wieder die Frage, wie ich eine Stelle am schnellsten und effizientesten ins Gehirn programmiere: Soll ich das Metronom einschalten? Muss ich zuerst den Rhythmus ohne Instrument lernen? Habe ich alle Tonhöhen richtig erkannt? Gibt es besondere Dynamiken? Muss ich langsam üben? Wie will ich diese Stelle phrasieren? Ist es für heute genug mit dieser Passage und übe ich jetzt besser an etwas anderem und sehe, ob ich morgen weiterkomme? Soll ich mich aufnehmen um das Ganze unabhängiger beurteilen zu können? Solche und andere Fragen sind wichtig, denn das Übelste ist, eine halbe Stunde an einer Stelle zu üben und erst dann zu merken, dass man die Stelle immer mit einem Fehler geübt hat. Fehler sind nämlich schwierig wieder auszutreiben und kosten Zeit, die man anderweitig besser nutzen könnte.

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8 Tipps, mit denen man auf dem Instrument fit bleibt

Sich selber aufnehmen
Sich selber aufnehmen

Nach dem Studium sind die meisten Musiker topfit auf dem eigenen Instrument. Danach kommt das “wirkliche” Leben mit all seinen Pflichten und Verlockungen und es wird schwieriger, die Topform zu halten, geschweige denn, sich weiterhin zu verbessern. Und trotzdem gibt es Musiker, die bis zum Karriereende schön spielen und sogar kontinuierlich Fortschritte machen. Ich denke, dass es sehr viel mit Disziplin und Leidenschaft zu tun. Hier eine kurze Checkliste, wie man es auch selber schaffen könnte.

1. Wer rastet, rostet: Es geht nicht ohne üben.
Für Musiker ist Stillstand leider wirklich gleichbedeutend mit Rückschritt. All die Reflexe, Automatismen, hochpräzisen Handgriffe und Abläufe, die wir in zehntausenden von Stunden programmiert haben, verschwinden mit der Zeit, wenn wir sie nicht täglich intensiv repetieren und weiterentwickeln. Auch wenn der Ausreden viele sind: Jeden Tag muss man die Zeit finden, um im stillen Kämmerchen zu üben. Ein Musiker ist wie ein Spitzenathlet: Bestleistungen sind ohne Training unmöglich, Talent hin oder her.

2. Maintenance vs. Fortschritte machen
Wenn man immer die gleichen Stücke übt, so betreibt man Repertoire-Pflege. Man sorgt dafür, dass ebendiese Stücke funktionieren. Das ist so weit nicht falsch. Will man aber Fortschritte machen, so muss man neues Repertoire erlernen, v.a. Werke, welche einen herausfordern und an die Grenzen des eigenen Könnens bringen.

3. Die tägliche Dosis Basics

  • Tonleitern in all ihren Variationen und Gestalten helfen, eine gute Intonation zu behalten.
  • Zwischendurch mit Metronom zu üben sorgt dafür, dass man für die Kollegen nicht zum Rhythmus- und Temposchreck wird.
  • Komplizierte Etüden entwickeln die Technik weiter.

4. Sich selber aufnehmen
Nimm dich auf und werde dein schärfster Kritiker. Wenn dir andere zuhören sollen, dann ist es das gut, dass du dir selber auch zuhörst. Es ist vermutlich eine der wirksamsten Massnahmen zur Verbesserung des eigenen Spiels.

5. Aufnahmen hören, Videos sehen
Guten Musikern zuzuhören und zuzusehen motiviert und inspiriert. Man bleibt auch immer à jour über die aktuellen Tendenzen und Moden in der Interpretation der Musik.

6. Konzerte besuchen
Aufnahmen sind super, aber geben nicht das realistische Klangbild wieder, da die Balance normalerweise künstlich verbessert worden ist. In Konzerten ist das besser. Es lohnt sich daher, sich eine Eintrittskarte zu leisten, wenn ein grosser Musiker in deiner Stadt gastiert.

7. Herausfordernde Projekte anpacken
Ich persönlich übe nur dann wirklich gut und viel, wenn ich Konzerte anstehen habe. Noch besser, wenn das Repertoire herausfordernd ist. Vermutlich ist das bei den meisten Musikern so.

8. Ein Wort zur körperlichen Gesundheit
Das Spielen auf dem Instrument erfordert eine gewisse körperliche Gesundheit. Gesundheitsfördernder Sport (ohne es zu übertreiben) schadet daher sicher nicht. Des weiteren sollte sich jeder Gedanken zum Gehörschutz machen, da ohne gute Ohren der Job viel schwieriger wird. Und letztlich: viel üben ist gut. Aber gerade als Orchestermusiker muss man da eine gute Balance finden, zumal die Orchesterdienste auch anstrengend sind. Niemand möchte sich mit Sehnenscheidenentzündungen herumschlagen. Man sollte nie an die Schmerzgrenze gehen. Hat man z. B. 12 Orchesterdienste in einer Woche, so wäre es schlecht, dazu noch täglich 3 Stunden selber zu üben. Eine Stunde pro Tag ist in so einer Woche wohl schon das Maximum. In einer Woche mit nur drei Diensten ist es natürlich ganz anders und man kann viel üben.

 

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9 Tipps für mehr Celloklang

Stege: Deutscher, belgischer und ein Mittelding
Stege: Deutscher, belgischer und ein Mittelding

9 Tipps für mehr Celloklang

Ein guter Kollege hat mir mal gesagt: “Ein Cello ist wie ein Mensch. Auch mit viel Schminke und kosmetischen Operationen wird man einen Menschen immer erkennen können. Genauso ist mit der Stimme eines Cellos.” Er hat natürlich Recht. Trotzdem hat man Möglichkeiten, den Klang eines Cellos zu verändern. Viele kleine Verbesserungen können durchaus eine Wirkung entfalten, wenngleich das Cello seine Stimme nie gänzlich verändern wird.

Ein Cello wird nie eine Trompete sein

Vermutlich haben die meisten von uns das Cello als Instrument gewählt, weil uns der Klang so unglaublich gut gefallen hat. In der Tat ist das Cello eher für seinen wunderbaren Klang berühmt als für seine schiere Dezibel-Kraftmeierei. Auch wenn man hier und da etwas einstellen und optimieren kann, bleibt das Cello im Orchester auch nach all diesen Tipps das zweitleiseste Instrument. Nur der Kontrabass ist noch leiser. Ich würde bei der Auswahl eines Instruments sowie bei dessen Reglierung ein möglichst ausgewogenes Klangbild suchen, welches in jedem Register sowohl starke Bässe hat als auch gute Obertöne hat. Soweit meine Erfahrungen.

Bogentechnik

Die günstigste, einfachste und wirkungsvollste Massnahme. Du musst herausfinden, was dein Cello mag: manche Instrumente haben es gern, wenn man mit viel Bogen spielt. Andere wollen nah am Steg gespielt werden. Wieder andere brauchen viel Bogendruck. Wieder andere brauchen alles zusammen. Auch muss man beim Spielen verstärkt auf die Klangfarbe achten. Muss man sich gegen viel Lärm durchsetzen, so kann man einen etwas schärferen, obertonreicheren Klang erzeugen (nahe am Steg). In den tiefen Lagen muss man manchmal fast ein bisschen kratzen, damit man gehört wird.

Saiten

Saiten machen einen Unterschied im Klang und in der Spielbarkeit. Es hängt vor allem vom eigenen Geschmack ab, welche Saiten man auswählt. Obschon ich über Jahre hinweg öfters verschiedene Marken ausprobiert habe, bin ich letztendlich immer wieder bei Spirocore Wolfram mittelstark für C- und G-Saiten gelandet, sowie Larsen Medium Soloist für die D-und A-Saite. Starke Saiten sind lauter, aber schwieriger in der Ansprache. Weiche Saiten sind leiser, dafür einfacher in der Ansprache und oft klanglich etwas komplexer. Mittelstarke Saiten sind der Kompromiss in der Mitte. Auch wichtig: Saiten verlieren mit der Zeit in einem sehr unauffälligen Prozess nach und nach an Klang. Vor einem wichtigen Konzert lohnt es sich daher, ca. eine Woche im Voraus neue Saiten zu montieren.

Steg

Der Steg hat einen sehr grossen Einfluss auf die Klangfarbe. Grundsätzlich gibt es zwei Bauformen sowie eine Mischung der beiden. Der belgische Steg ist hoch ausgeschnitten und hat insgesamt weniger Holz. Sein Klang ist in der Regel hell und obertonreich. Dann gibt es den deutschen Steg. Dieser ist weniger hoch ausgeschnitten und hat dadurch mehr Holz und Masse. Sein Klang ist viel wärmer und hat mehr Bässe und “Fleisch”. Schliesslich gibt es noch Mischformen der beiden Stege, welche sich klanglich in der Mitte der beiden Extreme befinden. Hat ein Cello eine sehr dunkle Klangfarbe, so ist häufig ein belgischer Steg ideal. Auf Instrumenten mit hellem Klang ist ein belgischer Steg hingegen “Overkill” und macht einen schrillen Ton, weswegen sich dann eher ein deutsches Modell empfiehlt.

Stimmstock

Die Position des Stimmstocks hat einen sehr grossen Einfluss auf den Klangcharakter und die Ansprache des Instruments. Zusammen mit dem Geigenbauer kann man da ein bisschen experimentieren. So wie ich es erlebt habe, gibt es häufig aber nur nur eine einzige optimale Position für den Stimmstock, welche klanglich befriedigend und gleichzeitig ansprachetechnisch brauchbar ist.

Bogen

Der Bogen ist nicht zu vernachlässigen. Wenn der Bogen zum Spieler und zum Instrument passt, dann hat man bessere Chancen, einen schönen und grossen Ton zu erzeugen.

Saitenhalter

Nun kommen die “esoterischen” Klangverbesserungen. Esoterisch, weil man daran glauben muss, um den Unterschied zu hören. Am ehesten noch finde ich, dass ein guter Saitenhalter klanglich und ansprachetechnisch eine Verbesserung bringen kann. Mir gefällt der Wittner Akustikus am besten. Ich würde aber hier keine Vermögen investieren. Entweder sind das Cello und der Cellist gut oder sonst macht ein Saitenhalter den Braten auch nicht feist.

Einhängesaite

Ich habe Erfahrungen mit Stahl-, Kevlar- und Plastik-Einhängesaiten. Klanglich geben sich diese Einhängesaiten nicht viel. Die Stahl gefällt mir am besten, weil sie sehr zuverlässig ist. Plastik hat den Vorteil der einfachen Einstellung der Saitenlänge, ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, dass sie viel bringt. Kevlar war bei mir nicht gut und zwar nicht wegen dem Klang, sondern weil sie mit einem Knoten befestigt wurde, der sich öffnete. Seit dem habe ich dem Kevlar abgeschworen.

Stachel

Ich habe schon einiges an Stacheln ausprobiert und fand immer, dass es klanglich überhaupt keinen Unterschied macht. Es ist wohl eher eine Frage der persönlichen Vorliebe. Faktoren die zu beachten sind wären das Gewicht (beim Tragen des Cellos) und vor allem die Stabilität und Zuverlässigkeit. Ein zu biegsamer Stachel ist nicht jedermanns Sache

 

 

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Wie man besser vom Blatt spielt

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Weil ich als Kind alle Stücke nach Gehör lernte, konnte ich lange kaum Noten lesen. Erst mit dem Beginn des Studiums lernte ich im Gehörbildungsunterricht die Grundlagen. Lange Zeit blieb aber Noten lesen meine grosse Schwäche. Als ich dann anfing im Orchester zu arbeiten, konnte ich “first-hand” gewisse Kollegen mit phänomenalen Blattspiel-Fähigkeiten beobachten. Bald realisierte ich, dass es ungemein nützlich ist, wenn man Musik auf hohem Niveau vom Blatt spielen kann. Ich beschloss also, mich in dieser Disziplin zu verbessern. Noch bin ich nicht auf einem absoluten Spitzen-Level und vielleicht werde ich es nie sein, zumal man im Blattspiel schwerlich jemals genug gut sein. Aber seit ich vor ca. sechs Monaten mit täglichem Prima-Vista-Training begonnen habe, habe ich bereits viel gelernt.

Warum ist es erstrebenswert, ein guter Blattspieler zu sein?

1. Zeitersparnis: Früher musste ich alles mühsam entziffern, vor ich mit dem Üben anfangen konnte. Jetzt kann ich direkt anfangen zu Üben, weil ich Rhythmen, Tonhöhen, Dynamiken usw. viel schneller erkenne. Viele Stellen und manchmal auch ganze Sätze muss ich gar nicht mehr üben, weil sie nicht schwierig genug sind.

2. Blattspieler können sich auf das Wesentliche konzentrieren: Zwar gibt es Leute, die das Gegenteil behaupten. Für mich aber ist klar, dass ein Musiker, der den Notentext in seiner Gesamtheit blitzschnell erfassen kann, sich viel schneller mit den Feinheiten des Musikmachens auseinandersetzen kann als jemand, der alles zuerst mit Mühe entziffern muss. Gute Blattspieler können Musik fliessend lesen etwa so wie du und ich den Text dieses Artikels fliessend vorlesen könnten. Auch verstehen Sie die Rhythmen der anderen Stimmen schneller und können sich daher leichter ins musikalische Geschehen einordnen und z. B. auch ohne Schwierigkeiten Stichnoten in die eigene Stimme einschreiben. Mir scheint, dass sie ganz allgemein die besseren Reflexe im Zusammenspiel mit anderen Musikern haben.

3. Den Dirigenten oder die Mitmusiker besser beobachten: Weil Sie die Fähigkeit haben, vorauszulesen, können Musiker mit guten Primavista-Fähigkeiten den Dirigenten im Blick behalten, ohne den Faden zu verlieren.

4. Es macht Spass und ist ein gutes Gehirnjogging: Blattspielen ist meiner Meinung nach eine der faszinierendsten Fähigkeiten, die ein Musiker haben kann. Die Zeit vergeht wie im Fluge – ich vermute, dass sehr viele Gehirnareale gleichzeitig beansprucht werden und zusammenarbeiten.

Wie man seine Blattspiel-Fähigkeiten verbessern kann

1. Jeden Tag ein paar Seiten aus unbekanntem Notenmaterial lesen. Auf imslp.org gibt es Material in Hülle und Fülle. Man sollte mit einfachen Sachen anfangen (z. B. Cellostimmen aus Mozart- oder Haydn-Quartetten und Sinfonien). Mit der Zeit kann man dann progressiv zu immer schwierigeren Komponisten und Werken vorstossen.

2. Ein Tempo wählen, in welchem man es schaffen kann. Es macht wenig Sinn, etwas sehr schnell, aber schlecht zu spielen. Viel schlauer ist es, langsam aber korrekt zu lesen. Ein Metronom kann helfen, hier die nötige Geduld und Disziplin zu haben.

3. Noten überfliegen. Vor man anfängt zu lesen, kann man kurz das Stück überfliegen um sich die Tonarten und komplizierte Rhythmen zu merken.

4. Fake it until you make it. Wenn eine Stelle ab Blatt unspielbar ist, sollte man sie “faken” (deutsch: fälschen). Bei einem Lauf beispielsweise sind immer der erste und letzte Ton sehr wichtig und sollten gespielt werden. Was dazwischen passiert ist nicht so wichtig – es kann sogar ein geschickt ausgeführtes Glissando sein. Bei komplizierten Stellen muss man auch oft vereinfachen und nur die wichtigen Töne bringen so dass es ungefähr richtig klingt. Besonders beim Lesen in einem Ensemble oder einem Orchester ist “faken” häufig der einzige Weg, eine Stelle im richtigen Tempo zu spielen. Versucht man stattdessen alle Töne zu spielen, so kann man leicht ein “Bremsklotz” für die anderen Musiker sein.

5. Der Puls ist die oberste Priorität: Egal was geschieht, man sollte immer das Tempo behalten und den Puls der Musik einhalten. Dies, weil man beim Spielen in einem Ensemble nicht einfach mal einen Takt überspringen darf.

6. Mit den Augen immer voraus lesen: Der Blick sollte beim Lesen immer auf die kommenden Takte gerichtet sein, sonst ist man zu spät. Diese Fähigkeit entwickelt sich mit der Zeit von selbst, sofern man oft vom Blatt spielt. Anfänglich muss man dazu wie bereits erwähnt in einem langsamen Tempo lesen.

7. Schönen Ton und gute Intonation anstreben: Man sollte es dem musikalischen Resultat wenn möglich nicht anhören, wenn jemand vom Blatt spielt.

8. Fehler später untersuchen. Das oberste Ziel ist immer Musizieren ohne Unterbruch, da dies in der Praxis wichtig ist. Bemerkt man Fehler, kann man die anschliessend kurz anschauen und üben.

Was man sonst braucht:

1. Fitness auf dem Instrument: Ich bin überzeugt, dass wirklich souverän und überzeugend vom Blatt nur spielen kann, wer sowohl in der linken als auch in der rechten Hand eine sehr sichere Technik hat. Da es beim Blattlesen immer sehr schnell geht, muss die Geographie des Griffbrettes verinnerlicht sein. Auch die Reflexe für den Klang (Bogeneinteilung, Bogengeschwindigkeit, Vibrato usw.) müssen sehr gut sein, da keine Zeit für ein Einrichten der Stimme da ist. Deswegen sollte man weiterhin tagtäglich seine Tonleitern und Arpeggien üben sowie an Etüden und den grossen Werken des Repertoires arbeiten.

2. Geduld und Ausdauer: Die Entwicklung guter Prima-Vista-Fähigkeiten ist nicht über Nacht zu schaffen. Wie beim Cellospielen selber braucht auch das Blattlesen jahrelange, tägliche Übung.

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Mit dem Cello Fahrrad fahren – eigentlich kein Problem

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Radfahren ist eines meiner Hobbys: Jahr für Jahr lege ich auf dem Rennrad 2000 bis 4000km zurück. Es hat mich daher immer ein bisschen gewurmt, dass ich als Cellist vermeintlich nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann, um auf diese Weise zusätzliche Trainings-Kilometer zu sammeln. Vor ca. einem Jahr habe ich schliesslich herausgefunden, dass man sehr wohl mit dem Cello auf dem Rücken Velo fahren kann. Seitdem nehme ich immer das Rad, um zu Proben und Konzerten in meiner Stadt zu fahren.

Man braucht ein gutes Tragesystem

Original war an meinem Accord-Cellokoffer ein Tragesystem, welches sich mitunter in voller Fahrt löste und mich dann zwang, das Cello auf einer Schulter zu balancieren. Das war nicht ganz ungefährlich. Daher habe ich bald das “Fiedler Tragesystem” montieren lassen. Damit sitzt das Cello fest und komfortabel auf meinem Rücken und die Fahrten sind von daher ungefährlich. Weitere Vorteile dieses Systems sind die eingebaute und praktische Notentasche, die nützliche Bleistifttasche, der durchdachte kompakte Bodenschutz sowie das bei Bedarf montierbare Sitzkissen für unbequeme Stühle am Ort des Auftrittes.

15 min Zeitersparnis pro Weg

Es ist keine Neuigkeit, dass das Velo in der Stadt das schnellste Verkehrsmittel ist. In der Zeit, in der ich von meinem Haus zur Bushaltestelle gehe, bin ich mit dem Rad schon beim Theater. Je nachdem, wo die Orchester-Dienste sind und wenn ich am Morgen und am Abend Dienst habe, kann ich bis zu einer Stunde Zeit in einem Tag einsparen. Ein völlig anderes Zeitmanagement wird möglich.

Der Trainingseffekt ist gut

Meine Strecken (hin und zurück) sind 3.4km fürs Theater, 4km für den Bahnhof, 4.4km fürs KKL und 7.6km für das Probelokal im “Südpol”. Eigentlich keine Riesendistanzen aber je nach Dienstplan komme ich pro Woche auf 20 – 50km. Mit dem Cello auf dem Rücken hat man einen viel grösseren Luftwiderstand und so ein Stadtvelo ist auch nicht grad ein Ferrari – als verwöhnter Rennvelofahrer fühle ich mich eigentlich wie auf einem Traktor: will man wie ich also schnell fahren, so muss man sich anstrengen. Das viele Bremsen und Beschleunigen auf kurzer Strecke trainiert einen dann sehr wohl und ich merke, dass ich bei meinen Ausfahrten mit dem Rennvelo mehr Kraft und Ausdauer habe. Der Trainingseffekt ist mir also höchst willkommen.

Die richtige Kleidung

Helm ist natürlich ein Muss. Eine gute Velobrille mit hellen Gläsern kann ich auch empfehlen als Schutz vor dem Fahrtwind und für gute Nachtsicht. Ansonsten radle ich in Alltagskleidung. Aber vor der Abfahrt kontrolliere ich immer kurz im Internet die Temperatur und die Wetteraussichten für den Tag, um nicht ohne Regenschutz von einer Schauer überrascht zu werden und vor allem um nicht zu warm gekleidet zu sein, denn bei zügiger Fahrt bekommt man schon warm und man möchte nicht total verschwitzt in die Probe starten. Am Zielort wasche ich mir kurz das Gesicht und schon bin ich ready!

Das richtige Velo für die Stadt

Für den Alltag ist ein Rennvelo oder ein reinrassiges Mountainbike nicht geeignet. Es fehlen Schutzbleche, welche einen vor dem Spritzwasser der eigenen Räder bewahren, Gepäckträger, Kettenschutz, Rahmenschloss, Licht, Ständer usw. sucht man auch vergeblich – allesamt wichtig für die Sicherheit und den Komfort. Es empfiehlt sich eher ein zeitgenössisches Citybike, welches alle diese Dinge von Haus aus hat. An meinem Stadtvelo habe ich zudem faltbare Metall-Körbe, welche seitlich am Gepäckträger montiert sind und sich bei Bedarf aufklappen lassen. Die machen das Velo zwar schwerer aber gerade als Cellist hat man auf dem Rücken schon ein rechtes Möbel und will man beispielsweise noch Konzertschuhe und Notenständer mitführen oder auf dem Rückweg schnell einkaufen, so sind sie eine grosse Hilfe.

Es macht Spass und schont die Umwelt!

Ich kenne mittlerweile mehrere Cellisten, welche mit dem Rad zur Arbeit fahren. Man muss es einfach probieren, denn die Zeitersparnis ist ein Riesenplus und der Effekt für die Fitness ist nicht zu unterschätzen. Man steckt auch nie im Stau, findet überall geeignete Parkplätze und ist zudem umweltfreundlich unterwegs. Ausserdem wirkt sich ein bisschen Sport immer positiv auf die Stimmung aus und man kommt gutgelaunt ins Orchester – was will man mehr?

Cargobike? Anhänger?

Cargobikes und Anhänger faszinieren mich, aber ich glaube nicht, dass sie für den Cellotransport eine gute Idee sind, weil ein Cello möglichst vor Erschütterungen geschützt werden sollte. In einem Anhänger oder Cargobike wird es zu sehr durchgeschüttelt. Auf dem Rücken ist es besser geschützt, weil man z. B. vor einem Randstein automatisch aufsteht und so die Unebenheit in der Strasse ausgleicht.

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Superstar-Karriere, Teil 2 von 2: Was können “Normalos” tun?

Im ersten Teil des Artikels haben wir über die Stars der Branche gesprochen und über die Gründe ihres Erfolges. Im zweiten Teil will ich nun über die Möglichkeiten aller “Nicht-Stars” nachdenken. Bestimmt gibt es noch viele andere Wege als die hier beschriebenen.

1. Nimm es locker

Nur die allerwenigsten werden Klassik-Superstar. Ich denke daher, dass das Wichtigste für alle anderen ein unbeschwerter Umgang mit dieser Tatsache ist. Es hat wirklich keinen Sinn, Neidgefühle zu entwickeln. Die wenigen Auserwählten sind sehr gut, hatten eine Verkettung glücklicher Zufälle, sind immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und haben alles gegeben, um zu stehen, wo sie jetzt stehen. Sie sind deswegen nicht zwangsläufig die besten aber darauf kommt es nicht an. Vergessen wir auch nicht, dass der “Job” des Superstars finanziell zwar gut ist, vom Lebensrhythmus her aber wirklich eine steinharte Sache.

2. Führe ein erfülltes Musiker-Leben, unabhängig von der Liga, in der du spielst

Ich bin der Überzeugung, dass alle in ihrem jeweiligen musikalischen Umfeld einen wertvollen Beitrag leisten können und dadurch einen Unterschied machen können. Egal ob Student, Freelancer, Musikschullehrer, Tuttigeiger, Solo-Cellist, Konzertmeister oder Star-Solist: Wer jeden Tag versucht, dazuzulernen, besser zu werden, effizienter zu sein, das Umfeld mit einer positiven Persönlichkeit anzustecken, sich musikalisch noch besser ins Gesamte zu integrieren und das alles ohne zu verkrampfen, der wird ein glückliches Musikerleben führen. Auf der anderen Seite kann man auch jeden Tag unglücklich sein – selbst als Weltstar, davon bin ich überzeugt. Wir alle haben jeden Tag die Wahl.

3. Vermarkte dich selber

Der Klassikmarkt ist zäh und gesättigt. Dennoch gibt es Leute, die sich über Jahre hinweg in beharrlicher Art und mit viel Trial-and-Error bemerkenswerte Netzwerker- und Selbstvermarktungs-Fähigkeiten aneignen und daher konstant als Solisten und Kammermusiker spielen. Diese Leute können ihre Stelle im Orchester oder an der Musikschule zwar nicht an den Nagel hängen, aber ihr Musikerleben weist sehr viel Aktivität auf und ist hochinteressant, auch wenn sie öfter in der Provinz solieren als im KKL.

4. Sei anders

Damit meine ich nicht, dass du dir die Haare grün färben sollst, wenngleich das bestimmt einen gewisse Bekanntheit generieren könnte. Vielmehr denke ich, dass man nicht einfach ohne viel zu denken eingefahrene Pfade einschlagen sollte. Alle produzieren eine CD? OK, mache ich auch! – Nein, eben nicht: Wozu eine CD? Bringt das wirklich etwas für die Selbstvermarktung? Kann man damit überhaupt noch Geld verdienen? Reichen mp3s nicht auch? Ist Video nicht besser? Warum nicht bloggen, kann doch potenziell viel mehr Leute erreichen etc… Warum nicht seine eigene Musik komponieren? Die Welt ist voll von sehr leicht austauschbaren Künstlern, gehe einen Weg, der dich besonders macht.

5. Weite die “Kampfzone” aus

Ich glaube nicht, dass wir gegen die Starsolisten ankommen, wenn wir selber eine normale CD herausgeben, eine normale Homepage haben und auch sonst alles auf der normalen Ebene ablaufen lassen. Wenn wir aber spannende Blogs haben, eigene Kompositionen auf Youtube und andere kreative Ideen realisieren, dann könnte sehr wohl das eine oder andere Projekt ein Hit werden. Was, wenn z.B. dieser Blog eines Tages 50’000 Leser pro Woche haben sollte? So ein Traffic kann sehr gut alle meine anderen Aktivitäten populärer machen.

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Superstar-Karriere, Teil 1 von 2: Gibt es Rezepte?

Um es vorweg zu nehmen: Ich glaube nicht, dass es Rezepte mit Erfolgsgarantie gibt. Es kann schlichtweg nicht jeder ein Superstar sein – die Plätze an der Sonne sind zu rar, die Demographie spricht dagegen. Vermutlich ist die Bezeichnung “Superstar” für klassische Musik ohnehin etwas übertrieben, da ein klassischer Musiker auch in extremen Fällen nie gleich bekannt sein wird wie zum Beispiel Barack Obama oder Tina Turner.

Doch zurück zum Thema. Ich selbst gehöre bekanntlich nicht zum erlesenen Kreise der Klassik-Superstars weshalb ich nicht für die 100-prozentige Richtigkeit der hier aufgestellten Thesen garantieren kann. Dies sind bloss meine Beobachtungen und Einschätzungen.

Top-Solisten brauchen keine Wettbewerbserfolge

Die meisten grossen Solistenkarrieren wurden nicht an einem internationalen Wettbewerb gestartet. Warum? Aus meiner Sicht ganz einfach: Wenn junge Musiker an einem Wettbewerb teilnehmen, sind sie zwischen 20 und 25 Jahre alt. Die Wettbewerbsteilnehmer sind Leute wie du und ich: Begabt, aber ohne ein Umfeld, dass schon früh alles auf eine Solistenkarriere “vorspurt”. Die zukünftigen Stars hingegen werden früh von ihren (Musiker-)Eltern auf die Realität vorbereitet (üben, üben, üben, gute Lehrer suchen und finden, und vor allem: Konzerte finden/organisieren sowie Klinken putzen…) Wie dem auch sei: Zum Zeitpunkt, zu dem die Leute wie du und ich dazukommen, Wettbewerbe zu bestreiten, haben die zukünftigen Superstars bereits 5-10 Jahre mit anfangs kleinen und dann graduell immer grösseren Konzertengagements hinter sich und brauchen gar keinen Wettbewerb mehr um ihre Karriere zu lancieren, da sie schon viel weiter sind. Wettbewerbsgewinner haben zwar ihren Preis und gehen nicht leer aus, da sie bestimmt grosse Fortschritte gemacht haben und vielleicht auch ein paar Konzerte kriegen – die zukünftigen Super-Stars haben aber bereits Konzertengagements, einen gewissen Bekanntheitsgrad, Kontakte und grosse Erfahrung.

(Bemerkung am Rande: ich bin recht froh, dass meine Eltern mir meine Kindheit und Jugend gelassen haben. Auch so ist mein jetziges Musikerleben spannend und auch unter den so genannten “Wunderkindern” schafft es bei weitem nicht jedes zur Weltkarriere – sprich: sie sind dann am Ende gleich weit wie du und ich, möglicherweise aber mit einem üblen Knacks, weil sie es nicht geschafft haben. Vermutlich hätte ich aufgehört Cello zu spielen, wenn man mich dazu gezwungen hätte. Der grosse Dirigent Georg Solti soll übrigens sinngemäss gewarnt haben, dass Eltern, welche ihre Wunderkinder “pushen” in 9 von 10 Fällen ihrem Kind grossen Schaden zufügen.)

Die Stars wissen, dass sie einzigartig sein müssen.

Alle guten Musiker sind technisch und musikalisch exzellent, aber sie sind sich vielleicht nicht ganz bewusst, dass es noch auf andere Sachen ankommt. Ein Star muss ein einzigartiges Charisma besitzen, um eine 2000 Menschen zählende Zuhörerschaft in einem relativ steifen klassischen Konzert zu fesseln. Was genau Charisma ist, ist schwierig zu beschreiben. Ein gutes Aussehen ist sicher ein Plus, aber es reicht nicht. Viel wichtiger ist ein von A-Z überzeugender und souveräner Auftritt auf und neben der Bühne.

Sie sind supergut

Der Star muss besonders gut sein, ohne das geht es nicht. Er hat tausende, wenn nicht zehntausende von Stunden geübt, bevor er ein Star wurde. Er muss in der Lage sein, permanent 5-10 Instrumentalkonzerte “KKL-reif” präsentieren zu können. Auch wenn er nicht immer 100% geben kann, muss seine Leistung immer akzeptabel sein.

Sie treten auf wie die Nummer 1

Das Dilemma, das ich bei vielen Musikern vermute: Selbst wenn man in seinem Leben zehntausende Stunden geübt hat und super gut spielt, wird es immer irgendwo Musiker geben, die noch besser sind. Das drückt auf das Selbstbewusstsein. Für Solisten ist es nicht besser: In jedem Orchester gibt es den einen oder anderen Musiker, der den Starsolisten jederzeit um die Ohren geigen würde. Aber Stars können das irgendwie verdrängen und sich dem Publikum trotzdem selbstbewusst als “Nummer 1” zeigen.

Die Stars schaffen es in eine schlagkräftige Agentur

Machen wir uns nichts vor: Niemand wird einfach bei den New Yorker Philharmonikern oder bei jedem anderen Profi-Orchester der Welt anrufen können um zu fragen, “darf ich nächstes Jahr bei euch Dvorak-Konzert spielen?” und auf diese Weise zu Engagements in dieser Liga kommen. Die Sinfonieorchester der Welt lassen sich ihre Solisten von einer Hand voll Top-Agenturen liefern. Wie man in so eine Agentur kommt, dort die Manager überzeugt und auch auf dem so genannten “Roster” bleiben kann ist vermutlich eine der kritischen Knacknüsse, wenn man ein Solist werden will. Die oben genannten Punkte könnten helfen.

Sie bauen sich mächtige Netzwerke auf

Die Stars und ihre Agenturen haben sich über die Jahre in aufwendiger Kleinarbeit ein Beziehungsnetz mit mächtigen Freunden und Partnern geflochten.

Die Stars sind ein überzeugendes Produkt

Exzellent Cello spielen können sehr viele. Die Stars haben daher noch ein paar andere Pfeile im Köcher. Durch ihre Leistungen und mit Hilfe ihrer Managements haben sie über die Jahre Weltbekanntheit erreicht, die es ihnen ermöglicht, grosse Konzertsäle auf der ganzen Welt mit Publikum zu füllen. Für die Konzertveranstalter sind sie deswegen ein attraktives Produkt, denn im Gegensatz zu anderen guten Musikern spielen sie nicht nur gut, sondern füllen auch den Saal mit Publikum, womit sie eine der primären Sorgen eines jeden Konzertveranstalters aus der Welt schaffen.

Sie akzeptieren die Entbehrungen des Lebens aus dem Koffer

Ein Topsolist ist ständig unterwegs und das meistens allein. Er sieht in seiner Karriere vor allem Flughäfen, Flugzeuge von aussen und innen, Taxis von aussen und innen, Konzertsäle und Hotelzimmer und wechselt dabei ständig zwischen allen möglichen Zeitzonen. Er spielt Jahr für Jahr zwischen 100 und 150 Konzerte und eilt dazwischen von Presseterminen zu Treffen mit Orchestermanagern und Konzertveranstaltern. Ein normales Familienleben kann so nicht stattfinden. Nicht jeder will so leben, die Solisten aber offenbar schon.

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Arbeite jeden Tag an deiner Technik

cellotechnik

Zusammen mit guten Blattspiel-Fähigkeiten gehört eine solide Technik zum Inventar jedes Musikers. Beides erleichtert die Arbeit ungemein und führt dazu, dass man in der gleichen Zeit mehr erreichen kann und somit mehr Aufträge annehmen kann. Zum Blattspielen habe ich bereits früher ein paar Tipps gegeben, weshalb ich hier von der Entwicklung der Technik schreiben will.

1. Tonleitern

Der beste Weg, die eigene Technik zu verbessern führt über Tonleitern. Tonleitern helfen, die Geografie des Griffbrettes besser zu verstehen und zu verinnerlichen, so dass man beim Üben und Blattlesen ohne viel Federlesens die idealen Fingersätze findet. Jemand, der täglich seine Ration Tonleitern bezieht, hat überdies normalerweise auch weniger Schwierigkeiten mit Intonation.

Besorge dir daher ein gutes Buch mit allen möglichen Tonleitern (z. B. Carl Flesch, arrangiert von Wolfgang Boettcher). Ich selber übe jeweils eine Woche lang in der gleichen Tonart, bevor ich zur nächsten wechsle.

Dabei mache ich täglich in 15-20min alle folgende Tonleitern:

  • Einfache Tonleiter über 4 Oktaven
  • Arpeggios über 3 Oktaven
  • einfache Tonleiter im “Zickzack”* über 3-4 Oktaven
  • Chromatische Tonleiter über 3 Okaven
  • Terzen normal und im “Zickzack”
  • Sexten normal und im “Zickzack”
  • Oktaven einfach
  • Oktaven arpeggiert
  • Oktaven im “Zickzack”
  • Dezimen in der Daumenlage

(* Beispiel einer Tonabfolge im Zickzack: C-E-D-F-E-G-F-A usw. sowie umgekehrt.)

Wichtig ist meiner Meinung nach, auf tadellose Intonation und schönen, kräftigen Klang zu achten. Es schadet auch nicht, sich ab und zu aufzunehmen, um die Genauigkeit unabhängiger zu überprüfen.

2. Etüden

Zusätzlich zur täglichen Tonleiternpraxis zahlt es sich aus, 15-20 Minuten täglich an einer Etüde zu arbeiten. Etüden bieten die Möglichkeit, auf kompaktem Raum ein bestimmtes technisches Problem vertieft zu studieren. Dies hilft auch, bei kniffligen Fällen im Orchester (heikles Solo, technisch komplexe Passage, Blattspiel etc.) oder in Kammermusik und Solo-Literatur ein solides Rüstzeug im Gepäck zu haben.

An einer Etüde arbeite ich solange, bis ich zufrieden bin (je nach Schwierigkeit 1-4 Wochen, in Ausnahmefällen auch länger). Etüden, die ich gut finde sind die von Duport, Popper (High School) und Piatti (Capricen), aber es gibt bestimmt noch viele andere interessante Hefte. Ich empfehle Etüden so zu wählen, dass man an den eigenen Schwächen arbeitet (z. B. Daumenlage, Oktaven, Terzen/Sexten, künstliche Flageolette, Stricharten etc.). Auch bei Etüden sollte man immer eine musikalische Interpretation anstreben und sich aufnehmen. Ich würde immer eine Etüde wählen, die etwas über meinen aktuellen Fertigkeiten liegt, damit ich Fortschritte mache. Ist eine Etüde nämlich zu leicht, so lernt man wenig dabei.

 

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Warum komponieren?

Aus meiner Sicht ist es für jeden guten Musiker ein Plus, wenn er auch selber komponiert. Einerseits hat er so etwas ganz Spezielles in seinen Konzerten zu bieten und andererseits verfügt er dann nicht nur über die Perspektive des Interpreten, sondern auch über die eines Komponisten.

Die Komponisten-Perspektive erweitert den Horizont

Ich selber bin ein Gelegenheitskomponist und schreibe für den Eigengebrauch. In den letzten fünf Jahren habe ich 2 Stücke für Solocello (Blues, 2007 & Top Gun Variations 2012) sowie eine Kadenz für das Haydn C-Dur-Cellokonzert und eine für ein Boccherini-Konzert geschrieben. Trotz meines quantitativ sehr bescheidenen “Outputs” hat sich für mich dadurch der Horizont beim Interpretieren merklich erweitert. Ich sehe den Notentext anders seit ich komponiere, nämlich auch durch die Brille eines Komponisten. Als Komponist weiss man, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, eine Stelle niederzuschreiben. In der Tat ist man ständig zwischen sehr vielen Möglichkeiten am entscheiden. Es ist für mich beim Interpretieren zwar interessant zu sehen, wie ein Komponist etwas niedergeschrieben hat. Aber viel wichtiger ist für mich die Frage: Was wollte er als Klangresultat? Und dazu muss man manchmal den Text eben nicht gar zu orthodox lesen, sondern gewissermassen zwischen den Zeilen um zu verstehen, welche Entscheidungen er getroffen hat und warum. So gesehen erlaubt ein Notentext oft viele Lese-Möglichkeiten. Allzuoft erlebe ich aber, dass Musiker etwa über bestimmte Bogenstriche diskutieren (“es steht doch so drin!”). Für einen Komponisten ist es jedoch nur wichtig, dass etwas gut klingt. War er bsp. ein Pianist, so wird er oft Phrasierungsbögen schreiben, die man sicher nicht immer als Bogenstriche interpretieren darf.

Weitere Vorteile kommen hinzu: Man sieht, wie schwer es ist, ein gutes Werk zu schreiben und hat mehr Respekt vor jedem Komponisten. Und man analysiert Musik mit mehr Kompetenz und merkt hier und da auch bei grossen Komponisten, dass bei ihnen die Inspiration nicht immer gleich gut war. Um jedoch von allen “Benefits” des Komponierens zu profitieren, ermuntere ich jeden Musiker, selbst zu komponieren, denn es ist ein sicherer Weg, um mehr über Musik zu lernen.

Grosse Musik stammt aus der Feder komponierender Musiker

Ein anderer Punkt ist der, dass meiner Meinung nach heutzutage zu viele Komponisten nur komponieren und selber vielleicht nicht mal ein Instrument beherrschen mindestens aber nicht konzertieren und auf der anderen Seite viele Musiker zwar supergut spielen, aber nie etwas selber schreiben. Mir scheint, dass das eine nicht ohne das andere geht. Nehmen wir jeden grossen Komponisten der Vergangenheit: Brahms, Bach, Beethoven, Liszt, Chopin, Boccherini, Paganini etc. Sie waren nicht nur grosse Komponisten, sondern auch grosse Interpreten. Weil sie ihre Werke selber im Konzert aufführten, hatten sie sehr hohe Qualitätsansprüche an ihr kompositorisches Schaffen, bestimmt nicht zuletzt, weil sie sich nicht blamieren wollten. Im Gegensatz dazu steht die Musik der zeitgenössischen Nicht-Musiker-Komponisten: laut, grob, dissonant und unästhetisch.

Ich wage zu behaupten, dass die wirklich grosse Musik auch heutzutage von den Leuten geschrieben wird, die selber konzertieren. Warum nicht z. B. von dir?

Siehe auch: “Der Do-it-yourself-Musiker