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Superstar-Karriere, Teil 1 von 2: Gibt es Rezepte?

Um es vorweg zu nehmen: Ich glaube nicht, dass es Rezepte mit Erfolgsgarantie gibt. Es kann schlichtweg nicht jeder ein Superstar sein – die Plätze an der Sonne sind zu rar, die Demographie spricht dagegen. Vermutlich ist die Bezeichnung “Superstar” für klassische Musik ohnehin etwas übertrieben, da ein klassischer Musiker auch in extremen Fällen nie gleich bekannt sein wird wie zum Beispiel Barack Obama oder Tina Turner.

Doch zurück zum Thema. Ich selbst gehöre bekanntlich nicht zum erlesenen Kreise der Klassik-Superstars weshalb ich nicht für die 100-prozentige Richtigkeit der hier aufgestellten Thesen garantieren kann. Dies sind bloss meine Beobachtungen und Einschätzungen.

Top-Solisten brauchen keine Wettbewerbserfolge

Die meisten grossen Solistenkarrieren wurden nicht an einem internationalen Wettbewerb gestartet. Warum? Aus meiner Sicht ganz einfach: Wenn junge Musiker an einem Wettbewerb teilnehmen, sind sie zwischen 20 und 25 Jahre alt. Die Wettbewerbsteilnehmer sind Leute wie du und ich: Begabt, aber ohne ein Umfeld, dass schon früh alles auf eine Solistenkarriere “vorspurt”. Die zukünftigen Stars hingegen werden früh von ihren (Musiker-)Eltern auf die Realität vorbereitet (üben, üben, üben, gute Lehrer suchen und finden, und vor allem: Konzerte finden/organisieren sowie Klinken putzen…) Wie dem auch sei: Zum Zeitpunkt, zu dem die Leute wie du und ich dazukommen, Wettbewerbe zu bestreiten, haben die zukünftigen Superstars bereits 5-10 Jahre mit anfangs kleinen und dann graduell immer grösseren Konzertengagements hinter sich und brauchen gar keinen Wettbewerb mehr um ihre Karriere zu lancieren, da sie schon viel weiter sind. Wettbewerbsgewinner haben zwar ihren Preis und gehen nicht leer aus, da sie bestimmt grosse Fortschritte gemacht haben und vielleicht auch ein paar Konzerte kriegen – die zukünftigen Super-Stars haben aber bereits Konzertengagements, einen gewissen Bekanntheitsgrad, Kontakte und grosse Erfahrung.

(Bemerkung am Rande: ich bin recht froh, dass meine Eltern mir meine Kindheit und Jugend gelassen haben. Auch so ist mein jetziges Musikerleben spannend und auch unter den so genannten “Wunderkindern” schafft es bei weitem nicht jedes zur Weltkarriere – sprich: sie sind dann am Ende gleich weit wie du und ich, möglicherweise aber mit einem üblen Knacks, weil sie es nicht geschafft haben. Vermutlich hätte ich aufgehört Cello zu spielen, wenn man mich dazu gezwungen hätte. Der grosse Dirigent Georg Solti soll übrigens sinngemäss gewarnt haben, dass Eltern, welche ihre Wunderkinder “pushen” in 9 von 10 Fällen ihrem Kind grossen Schaden zufügen.)

Die Stars wissen, dass sie einzigartig sein müssen.

Alle guten Musiker sind technisch und musikalisch exzellent, aber sie sind sich vielleicht nicht ganz bewusst, dass es noch auf andere Sachen ankommt. Ein Star muss ein einzigartiges Charisma besitzen, um eine 2000 Menschen zählende Zuhörerschaft in einem relativ steifen klassischen Konzert zu fesseln. Was genau Charisma ist, ist schwierig zu beschreiben. Ein gutes Aussehen ist sicher ein Plus, aber es reicht nicht. Viel wichtiger ist ein von A-Z überzeugender und souveräner Auftritt auf und neben der Bühne.

Sie sind supergut

Der Star muss besonders gut sein, ohne das geht es nicht. Er hat tausende, wenn nicht zehntausende von Stunden geübt, bevor er ein Star wurde. Er muss in der Lage sein, permanent 5-10 Instrumentalkonzerte “KKL-reif” präsentieren zu können. Auch wenn er nicht immer 100% geben kann, muss seine Leistung immer akzeptabel sein.

Sie treten auf wie die Nummer 1

Das Dilemma, das ich bei vielen Musikern vermute: Selbst wenn man in seinem Leben zehntausende Stunden geübt hat und super gut spielt, wird es immer irgendwo Musiker geben, die noch besser sind. Das drückt auf das Selbstbewusstsein. Für Solisten ist es nicht besser: In jedem Orchester gibt es den einen oder anderen Musiker, der den Starsolisten jederzeit um die Ohren geigen würde. Aber Stars können das irgendwie verdrängen und sich dem Publikum trotzdem selbstbewusst als “Nummer 1” zeigen.

Die Stars schaffen es in eine schlagkräftige Agentur

Machen wir uns nichts vor: Niemand wird einfach bei den New Yorker Philharmonikern oder bei jedem anderen Profi-Orchester der Welt anrufen können um zu fragen, “darf ich nächstes Jahr bei euch Dvorak-Konzert spielen?” und auf diese Weise zu Engagements in dieser Liga kommen. Die Sinfonieorchester der Welt lassen sich ihre Solisten von einer Hand voll Top-Agenturen liefern. Wie man in so eine Agentur kommt, dort die Manager überzeugt und auch auf dem so genannten “Roster” bleiben kann ist vermutlich eine der kritischen Knacknüsse, wenn man ein Solist werden will. Die oben genannten Punkte könnten helfen.

Sie bauen sich mächtige Netzwerke auf

Die Stars und ihre Agenturen haben sich über die Jahre in aufwendiger Kleinarbeit ein Beziehungsnetz mit mächtigen Freunden und Partnern geflochten.

Die Stars sind ein überzeugendes Produkt

Exzellent Cello spielen können sehr viele. Die Stars haben daher noch ein paar andere Pfeile im Köcher. Durch ihre Leistungen und mit Hilfe ihrer Managements haben sie über die Jahre Weltbekanntheit erreicht, die es ihnen ermöglicht, grosse Konzertsäle auf der ganzen Welt mit Publikum zu füllen. Für die Konzertveranstalter sind sie deswegen ein attraktives Produkt, denn im Gegensatz zu anderen guten Musikern spielen sie nicht nur gut, sondern füllen auch den Saal mit Publikum, womit sie eine der primären Sorgen eines jeden Konzertveranstalters aus der Welt schaffen.

Sie akzeptieren die Entbehrungen des Lebens aus dem Koffer

Ein Topsolist ist ständig unterwegs und das meistens allein. Er sieht in seiner Karriere vor allem Flughäfen, Flugzeuge von aussen und innen, Taxis von aussen und innen, Konzertsäle und Hotelzimmer und wechselt dabei ständig zwischen allen möglichen Zeitzonen. Er spielt Jahr für Jahr zwischen 100 und 150 Konzerte und eilt dazwischen von Presseterminen zu Treffen mit Orchestermanagern und Konzertveranstaltern. Ein normales Familienleben kann so nicht stattfinden. Nicht jeder will so leben, die Solisten aber offenbar schon.

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